Text aus dem Artikel der Saarbrücker Zeitung vom 18.04.2023

Das Schreiben holt ihn aus der Vereinsamung

Mit „Drachenweide“ hat der hörgeschädigte Frank Nüsken aus dem Wadrilltal einen Roman in drei Bänden vorgelegt, in dem sich die Wege zweier Freunde seit dem Zweiten Weltkrieg immer wieder kreuzen.

Von Erich Brücker

WADRILLTAL | Im Jahr 2018 beschrieb Frank Nüsken in seinem kleinen Buch „Der Hörnichtgut“ (ISBN-13: 9783740745400), wie er sich nach einer Operation eines Cochlea-Implantats wieder unterhalten und am sozialen Leben teilnehmen konnte (wir haben berichtet). Dieser Zustand hielt genau bis zum 30. Mai 2021 an. „Mit diesem Tag veränderte sich mein Leben“, meint er mit gequältem Lächeln im Gespräch mit der Saarbrücker Zeitung vor wenigen Tagen. Seither hört er alles mit Hall, die Geräusche rundum sind viel zu laut. Sprache versteht er nur im direkten Blickkontakt und ohne Nebengeräusche. „Nach einem Test zum Sprachverstehen wurde mir bescheinigt: Sie interpretieren nur noch“. Das bedeutet heute für ihn: Feiern mit Freunden, Familientreffen, andere gesellschaftliche Zusammenkünfte und Telefonate sind nicht mehr möglich.

Gleichzeitig mit der Hörschädigung befiel Nüsken ein massiver pulsierender und lauter Tinnitus im Rhythmus seines Pulsschlags. Er umfasst die gesamte Bandbreite der Frequenzen. „Einschlafen musste ich neu lernen“, kommentiert er sarkastisch.

Nüsken machte aus der Not eine Tugend. Er begegnete der aufkommenden Vereinsamung mit Schreiben. Inzwischen schrieb er einen Roman in drei Bänden mit insgesamt 850 Seiten. Was war die Ursache für diese immense Hörschädigung? Zwei Tage zuvor erhielt Nüsken seine zweite Covid19-Impfung. Könnte das der Auslöser gewesen sein? „Vier von fünf Ärzten schlossen eine Folge der Impfung nicht aus oder hielten sie für sehr wahrscheinlich. Eine Schädigung einzelner Hirnzellen könnte vorliegen. Es gibt Meldungen zu vergleichbaren Fällen in Europa nach Corona-Impfungen“, berichtet Nüsken. Er betont, kein Impfgegner zu sein. „Schreiben rettete mich davor, verrückt zu werden. So entstand mein Roman Drachenweide“.

Drachenweide ist ein Gesellschafts- und Entwicklungsroman in drei Bänden. Die Protagonisten erleben sich verändernde gesellschaftliche Normen und Werte. Der Roman beginnt im KZ Hinzert und im Saarland mitten im Zweiten Weltkrieg. Der gemeinsame Sohn einer Saarländerin und eines Zwangsarbeiters, ein Flüchtlingsjunge aus Pommern und der Nachfahre sogenannter Ruhrpolen werden Schulfreunde. Drachenweide verfolgt ihr Leben bis ins Jahr 2019. Gemeinsame Erlebnisse schweißen sie trotz gegensätzlicher Prägungen zusammen. Nach ersten erotischen Erfahrungen und unterschiedlicher Berufswahl verlieren sie sich aus den Augen.

Teile der Drachenweide handeln in Südamerika und beschreiben unter anderem die Folgen des Kolonialismus. Auch die Fußball-WM 1978 in Argentinien spielt eine Rolle. Verwoben in acht Jahrzehnten realer Geschichte, verlaufen die Leben der Freunde wie bunte Fäden im grau melierten Tuch. Die Fäden streben auseinander, weisen Knoten auf, mal berühren und mal kreuzen sie sich. Im reifen Alter sind es die Partnerinnen, die den bunten Fäden neue Frische verleihen und die Freunde zusammenhalten. Wein, Weitsicht und Humor, Liebe und Sexualität erweisen sich stärker als Ohnmacht, Trauer und Engstirnigkeit. Wenn Nüsken über sein Werk berichtet, wird sein Lächeln strahlend. „Mein gesamtes Denken drehte sich nur noch um den Roman. Das nervte meine Familie, neben meiner Unfähigkeit zu verstehen, worüber gesprochen wurde“, ergänzt er im ironischen Unterton.
Jetzt ist er auf der Suche nach einem Verlag für die „Drachenweide“.

Haupthandlungsorte sind: Greidach im Hochwald, Hinzert im Hunsrück, Ballern bei Merzig, Bad Buchau am Federsee, Donauroth, Mendoza in Argentinien.